Februar 1, 2022

Sittes Welt im Kunstmuseum

Wir hatten nicht warten müssen. Es genügte Covid-Pass, Ausweis, FFP2-Maske und 12 Euro, um in „Sittes Welt“ zu gelangen. Was für eine honorige Rückkehr, die dem toten Maler hier zelebriert wird. Endlich zurück aus der Merseburger Verbannung, und gleich ins kunst-museale Herz seiner alten Metropole. Sorgsam ausgeleuchtet hängen die Bilder makellos Spalier an den makellos in dunklem Grau gehaltenen Wänden. Die Frage wäre, geht es zum Schafott oder zur Krönung? Die riesigen, in der Ausstellung verteilten Tafeln mit viel Text und fotografischen Dokumenten weisen darauf hin, dass Erklärungsbedarf besteht, zum Beispiel darüber, wie die politische Rolle, die Sitte in der Kultur Ostdeutschlands gespielt hat, zu bewerten ist. Der „Ziegelstein“ des über 500 Seiten zählenden Katalogs wäre dazu geeignet, jemanden zu erschlagen, oder eine Argumentationswand aufzumauern. Diese Print-Ausgabe allerdings ist momentan vergriffen. Man sieht nur, was man weiß? Oder weiß man nur, was man auch wirklich g e s e h e n hat? Etwa das kühne Salto, das der junge Sitte Ende der 40er in die Klassischen Moderne wagt, nachdem er als „Parteimaler“ nach Halle gerufen worden war. Kaum zu unterscheiden, turnt er munter mit in der Manege der jungen Hallenser Avantgardisten. Viele von ihnen werden später ob der Schwierigkeiten, die sie auf Grund ihrer Arbeit mit der politischen Führung des Landes haben, dasselbe verlassen. Sitte nicht. Obwohl die Partei bis tief in die 60er Jahre hinein seine künstlerische Produktion alles andere als goutiert. Es ist verblüffend, wie rasch und offenbar ohne innere Widerstände er sich die fremden Handschriften von Picasso bis Guttuso anverwandelt, die Ergebnisse sind zuweilen geradezu frappierend. Was hat das mit ihm zu tun? Ist es bloß Maskerade? Hätte es der Beginn einer großen Fälscherkarriere sein können? Dieser Weg wurde ihm versperrt durch einen offenbar nicht zu unterdrückenden Ehrgeiz, mit der Kunst eine Rolle zu spielen in der Öffentlichkeit. Kurioserweise scheint es der selbe Grund zu sein, der – gepaart mit einer gegen verunsichernde Wirklichkeitserfahrung weitgehend resistente politisch-weltanschauliche Halsstarrigkeit – ihm den Zugang zur Kunst verwehrt. Da hilft es nicht, wenn er Gewährsleute wie etwa Lovis Corinth aufruft. Dessen desaströse Vitalität ist immer von schonungsloser Lauterkeit, vor allem gegen sich selbst. In diesen Grund steigt Sitte nie zu sich hinab. Wo er mit unbestreitbarer Virtuosität Kraft und Vitalität vorstellt, erscheint nur heroisierende Kraftmeierei, seelenlos und falsch gegen sich wie gegen die Leute, denen er die malerische Ehre gibt, auf seinen Bildern in die Nachwelt zu marschieren. Von der Wirklichkeit gedemütigt, kann er ihr nicht verzeihen, dass sie nicht nach seiner Pfeife tanzt. Vermessen, findet er kein Maß. Ecce homo, wie wahr, und es sieht aus, als stünde er unter der Dusche.